Dienstag, 2. Oktober 2012

Der Kunstfreund

Die berührenden Gedichte von Rainer Schlesinger, dem Volksschuldirektor aus Vorderstoder i.P., sind den meisten Stodertalern ein Begriff. Er versteht es wie nur wenige, die wesentlichen Dinge auf den Punkt zu bringen.
Das Gedicht "Der Kunstfreund" besteht aus zwei Teilen und ist eine Gegenüberstellung. Dazu sagt der Dichter:
Das Gedicht ist inhaltlich, stilistisch und in der Versform Eugen Roth nachempfunden. Ich bewundere seit jeher seine Kunst, menschliche Schwächen und Vorzüge in wohlgesetzten, heiter-ironischen Versen auf den Punkt zu bringen, ohne jemals grob oder gar verletzend zu werden.
                                                         
                                                              Erster Teil:

Ein Mensch hat – was es schon mal gibt –
sich in die Volkskunst jäh verliebt;
so hub, statt Zeit so zu vergammeln,
der Mensch denn an, solche zu sammeln.
Nunmehr gab’s für ihn kein Ruhen:
wohlan, es galt, bemalte Truhen,
Bauernschränke und auch –betten
vor dem Untergang zu retten!
Alte Töpfe, Teller, Krüge –
noch gab sie es zur Genüge –
sollte schleunigst man erwerben,
eh’ sie endeten als Scherben.
Was irgend aufzutreiben war
an Bildern, Uhren, Lampen gar,
an Schmuck und Kuriositäten,
an alpenländischen Geräten,
konnt’ der Mensch nach zähem Ringen
schließlich alles an sich bringen.
So häuft mit Müh’ und viel Geschick
in seinem Haus er Stück um Stück
der raren bäuerlichen Kunst –
sofern von Blitz und Feuersbrunst,
von blindwüt’gem Zerstörungswahn,
von des Holzwurms Nagezahn,
von künstlerischem Unverstand,
von putzwütiger Weiberhand,
von Schimmel und auch von den lieben
Schaben sie verschont geblieben.
Das stolze Haus im Lauf der Zeiten
vollgepfropft mit Kostbarkeiten
ward dennoch dieser Mensch nicht froh;
allenthalben fehlte wo
ein Teil zu der Vollkommenheit –
mitunter eine Kleinigkeit,
doch für den Menschen unergötzlich,
weil grade der Teil unersetzlich:
ein Scherben von der bemalten Vase,
von der Madonnenfigur die Nase,
das Gegenstück zur kostbaren Schüssel,
vom alten Schloss der alte Schlüssel
und noch vieles mehr dergleichen.
Der Mensch konnt’ leider nicht erreichen
die Vollendung allen Strebens
und Bemühen seines Lebens.
Er ist ziemlich unzufrieden
jäh aus dieser Welt geschieden.
Was er gesammelt bis zum Sterben,
verschacherten bald seine Erben.


                                                                        Zweiter Teil:

Ein andrer Mensch lebt, wie sich’s fügt,
in seinem Häuschen still vergnügt;
tut in der Stube – urgemütlich –
sich an seinem Pfeifchen gütlich –
ein schönes Erbstück, reich geschnitzt,
das er vom Großvater besitzt;
trinkt seinen Wein aus einem Kruge,
den anno achtzehnneun der kluge
Urururahn Vinzenz Pflanz
geschenkt bekam von Kaiser Franz.
An der Wand tickt ganz gemächlich
die alte Uhr, die noch tatsächlich
aus dem Schwarzwald stammt, und zwar,
weil auch von dort ein Ahne war.
Des Menschen Mobiliar ist schlicht,
manches ist alt und manches nicht:
in der Kammer – sauber, nett –
das wackelige Himmelbett,
in dem der Mensch einst ward geboren;
ein Lehnsessel, einer mit Ohren,
Tisch und Stuhl. Daneben macht sich
aus dem Jahre siebzehnachtzig
ein schön bemalter Kasten breit,
gebaut wie für die Ewigkeit.
Er bewahrt des Menschen Gut:
Jacke, Hosen, Hemden, Hut,
Andenken, Habseligkeiten
teils aus unbekannten Zeiten;
wohl auch, was der Mensch durch harte
Arbeit seinen Enkeln sparte.
Oft steht er vor seinem Schranke,
und manch friedlicher Gedanke
kommt dem Menschen in den Sinn.
Seine Hand streicht drüber hin
und er ist mit dem zufrieden,
was ihm sein kleines Glück beschieden.
Der Mensch hat nie daran gedacht,
wie kunstvoll dies und das gemacht;
nie sorgte sich die brave Seele,
dass da und dort vielleicht was fehle.
Schon gar nicht hat er je begehrt
zu kennen seiner Habe Wert,
weil der Mensch mit Geld nicht maß,
was an Werten er besaß.

Rainer Schlesinger, 1993

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