Freitag, 19. Januar 2018

Eine Stodertalerin erzählt von ihrer Schulzeit im zweiten Weltkrieg

"Nach 4 Klassen Volksschule in Hinterstoder kam ich in die Hauptschule nach Kirchdorf. Ich hatte furchtbar Heimweh und weinte oft. In einem Jahr war ich gleich bei drei verschiedenen Frauen zur Untermiete. Ein Zimmer musste ich mit dem 14 jährigen Sohn der Vermieterin teilen. Der griff dauernd in der Nacht unter der Decke nach mir. Eine Vermieterin nörgelte ständig an mir herum und bei einer Vermieterin wollte sich ein weiterer Mieter, ein alter Mann, immer wieder vor mir nackt ausziehen.
Im 2. Schuljahr kam ich nach Windischgarsten in ein Internat. Da hat es mir gut gefallen und in der Gemeinschaft mit meinen Mitschülern fühlte ich mich wohl.
Morgens schon, vor dem Unterricht, spielten wir Völkerball und machten Waldläufe. Meine Lieblingsfächer waren Zeichnen, Turnen und Singen. Es gab eine Ausstellung mit den besten Zeichnungen aller Schüler und mit dabei war auch mein Bild. Kurzschrift machte mir auch Spaß,
nur Mathematik, Chemie und Geometrie mochte ich gar nicht.
Abends wurden im Internat Spiele aufgeführt. Beim Theaterspielen wurde mir meistens die Hauptrolle zugeteilt. Wenn ich den Text vergaß habe ich aus dem Stegreif weiter gesprochen.
Ich wollte nicht so ein Leben wie meine Mutter führen und wollte deshalb unbedingt Lehrerin werden.
In Bad Aussee musste ich am 20. Juli 1944 zur Aufnahmsprüfung antreten. Als wir bei der Mathematikarbeit waren, wurde im Radio vom Attentat auf Adolf Hitler in der Wolfsschanze berichtet.
Im Anschluß an die Prüfung gab es zwei Möglichkeiten die Lehrerbildungsanstalt zu besuchen. Entweder im Protektorat Brünn oder in Linz. Aber mein Traum Lehrerin zu werden platzte, weil ich bei der Prüfung nicht die erforderliche Punkteanzahl erreichte.
Ich musste das von Hitler eingeführte  unbezahlte Pflichtjahr machen und kam als Haushaltshilfe nach Hinterstoder zu einer Frau mit einem Säugling, deren Mann im Krieg war.
Im Winter musste ich in einer ungeheizten Dachkammer schlafen. Manchmal hatte ich ein Gefühl als würden sich meine Eingeweide zu einem Knoten zusammen schlingen. An den Dachrinnen hingen überall große Eiszapfen und ich musste in der eiskalten Steyr die Windel waschen. Drei Monate habe ich durchgehalten, dann wurde ich krank.
Als ich wieder gesund war begann ich eine 3-jährige Fachschulausbildung in Steyr.
In der Ferne tobte der Krieg, der immer näher kam und auch die Hermann Göringwerke in Steyr wurden nicht von Bomben verschont. Bei Luftangriffen mussten wir immer wieder in Kellern oder stinkenden Stollen Zuflucht suchen. Abenteuerlich war es für uns Kinder, wenn die Alliierten Bomberverbände in unseren Luftraum flogen. Man hörte das Motorbrummen tief und bedrohlich. Am Fensterbrett klirrten die Mostgläser. Vom Himmel fielen schmale Aluminiumstreifen zur Täuschung der Abwehr. Jagdflieger flitzten wie Schwalben durch den Himmel. Bomben wurden abgeworfen. Wenn die Flugzeuge weg waren sammelten wir Bombensplitter mit spitzen Zacken.
Ausländische Sender im Radio zu hören war strengstens verboten und wurde hart bestraft. Bei Alarm kam ein Kuckucksruf aus dem Volksempfänger-Radio. In den Zeitungen und im Rundfunk wurde furchtbar auf Juden und Pollaken gehetzt. In der Zeitung "Völkischer Beobachter" stand: "Hängt die Pollaken auf". In der Zeitung "Der Stürmer" wurden Juden mit grässlichen Fratzen abgebildet und immer hatten sie krumme Nasen und Geldscheine in den Händen. Über Polen und Bolschewiken hörten wir, dass sie kleine Kinder umbringen, Männer annageln und wie Jesus kreuzigen. Frauen, so konnte man in der Zeitung lesen, werden vergewaltigt, der Bauch aufgeschlitzt, die Augen ausgestochen, die Fingernägel ausgerissen. -  es war eine furchtbare Zeit.
Auch über die Lebensmittelmarken wusste ich Bescheid. Es gab Marken für 5g Fett, 10g Zucker, 50g Brot, 15g Marmelade, und 6g Fleisch, gerade soviel wie auf einer Gabelspitze Platz hat. Der Kunsthonig schmeckte wie Seife. Wir sammelten Löwenzahn und Brennesselblätter um daraus Salat zu machen. Aus Pfefferminzblätter, Tausendguldenkraut, Lindenblüten und Kamille bereiteten wir Tee. Die Mutter hat Erdäpfeltorte und Kukuruzbrot gebacken. Die Not machte erfinderisch."
       


Bombensplitter
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